Über Lebensläufe, Bedürfnisse und das Benennen eines Nicht-Seins
Wir haben Glück, denn keine THEOLOGIN beantwortet ein weiteres Mal unsere Fragen. Sie nimmt uns mit auf ihre Reise durch das Leben: Woher sie kommt, wer sie ist, was sie kann – und vor allem, was es mit diesem Namen auf sich hat. Lest (und hört, bald, die Audio-Version ist in Arbeit)!
(Das erste Gespräch mit keiner THEOLOGIN ist hier zu finden.)
Heute geht es ganz persönlich um dich. Umso wichtiger, uns Zeit für einen Einstieg zu nehmen. Wie geht es Keiner Theologin?
Keine Theologin: Da es das zweite Gespräch ist, bin ich schon etwas weniger aufgeregt – aber immer noch gespannt, was mich erwartet. Und ich freue mich darüber, dem klassischen Lebenslauf dieses Gespräch hinzufügen zu können.
Was ist dir daran wichtig?
Keine Theologin: Ein chronologischer Lebenslauf spiegelt in keinster Weise die Vielfalt und Verworrenheit des Lebens wieder. Im Rückblick ergibt die Aneinanderreihung der verschiedenen Stationen meist Sinn – klar folgt Y auf X. Sind wir aber mittendrin, ist der nächste Schritt oft nicht so eindeutig sichtbar. Ausserdem haben in einem Lebenslauf oft zentrale Lern- und Entwicklungsmomente keinen Raum, weil sie ausserhalb von den klar benennbaren Punkten in Bildung oder Berufslaufbahn stattgefunden haben.
Na dann hoffen wir, dem im Gespräch besser gerecht zu werden. Vielleicht beginnen wir am besten ganz offen: Was möchtest du uns über deine Herkunft erzählen?
Keine Theologin: Puh, das ist eine schwierige Frage. Ich bin in Pfarrhäusern auf dem Land aufgewachsen, in Ostdeutschland und der Ostschweiz. Ich habe mich schon früh für vieles begeistert – Sport, Musik, Gemeinnütziges, gesellschaftliche Anliegen… Begleitet haben mich dabei immer das Schreiben als Ausdrucksmittel, Weltschmerz und ein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn. Bei den letzten beiden dachte ich, dass sie irgendwann weniger werden. Das ist bis jetzt aber nicht wirklich der Fall.
Das klingt nach einer ganz schön bunten Palette. Im Lebenslauf sehen wir ziemlich viele verschiedene Stationen. Was sind denn Beispiele für diese „Lern- und Entwicklungsmomente“, die dort nicht abgebildet sind?
Keine Theologin: Oh, damit könnte ich Bücher füllen. Um ein paar Beispiele zu geben… Durch die vielen Umzüge habe ich die Erfahrung gemacht, überall ankommen zu können. Ich habe überall Menschen und Gemeinschaften gefunden, die mich aufgenommen haben. Ich bin an keinem Ort alleine geblieben. Das hat mir verdeutlicht, wie sehr wir eingebunden sind in ein unsichtbares Netz, das uns alle umschliesst. Ausserdem habe ich verstanden – auch wenn ich es ab und zu wieder vergesse – dass wir alle verschieden sind und unterschiedlich denken und fühlen.
Naja, das ist jetzt aber nicht wirklich die Erkenntnis des Jahrhunderts, oder?
Keine Theologin: Würde man meinen. Und trotzdem sehe ich jeden Tag zahlreiche Beispiele, die das Gegenteil vermuten lassen. Würden wir unsere Unterschiedlichkeit wirklich anerkennen, und damit auch die Tatsache, dass wir alle verschiedene Bedürfnisse haben – ohne Vergleiche, ohne Bewertungen – die Welt wäre eine andere.
Da ist sicherlich etwas Wahres dran. Kommen wir nun zu deinem Namen. Keine Theologin – das ist ja eigentlich auch gar kein Name, sondern viel mehr eine Beschreibung, oder?
Keine Theologin: Wenn wir sagen, wer oder was wir sind, haben wir die Tendenz dazu, das als komplettes und abgeschlossenes Bild anzunehmen – die berühmte Schublade. Durch das Benennen eines Nicht-Seins – ich bin eben keine Theologin – bleibt viel mehr Raum für alles, was ist. Und sind wir doch ehrlich, ein bisschen neugierig macht es doch schon auch: „Was ist sie denn, wenn sie keine Theologin ist?“
Ja wenn du das schon so anbietest, muss ich doch direkt nachfragen: Wer oder was bist du denn?
Keine Theologin: Abschliessend werden wir das hier wohl nicht beantworten können und auch wollen. Aber um einen Eindruck zu geben: Ich bin eine weisse cis-Frau, ich habe einen mehr oder weniger gesunden und „abled“ Körper, ich habe Migrationserfahrung, bin akademisch geprägt und im „globalen Norden“ aufgewachsen. Ich gehe bezahlter Arbeit nach und verbringe ansonsten meine Zeit mit viel unbezahlter Arbeit, die sich in Ehrenamt, Freiwilligenarbeit und Care-Arbeit aufteilt. Und ich beschäftige mich mit Spiritualität und dem christlichen Glauben.
Also doch eine Theologin…!?
Keine Theologin: Das ist nun eben die Frage. Gehört zur Theologin ein Abschluss von einer Universität dazu? Dann bin ich keine. Reicht es, über Gott nachzudenken? Dann sind fast alle irgendwann in ihrem Leben mal Theolog*innen.
Hm, diese Frage kann ich nicht beantworten. Warum hast du dir denn einen Namen ausgesucht, der so viel Unklares beinhaltet?
Keine Theologin: Weil er eben Spielraum lässt und durch eine Verneinung Tor und Tür öffnet. Das gefällt mir. Ganz offensichtlich hat keine THEOLOGIN irgendwas mit Theologie, Glaube, Spiritualität und so weiter zu tun. Aber in welcher Beziehung keine THEOLOGIN zu diesen Themen steht, aus welcher Perspektive darauf geschaut wird, das bleibt offen.
Das kann ich nachvollziehen.
Keine Theologin: Ein weiteres Anliegen war es mir, ganz klar zu sagen: Ich bin keine Fachexpertin auf dem Gebiet der Theologie wie wir es im klassischen Sinne verstehen, also zum Beispiel in der an den Universitäten betriebenen Forschung. Ich kann weder Altgriechisch noch Hebräisch und weiss auch viele andere Dinge nicht. Aber das ist ja genau der Punkt: Obwohl die Reformation den Glauben allen zugänglich machen wollte und das ein Stück weit wohl auch getan hat, ist Glaube ziemlich wenig präsent im Leben vieler Menschen. Fängt man aber ein Gespräch darüber an, weckt das oft Emotionen. Und das finde ich spannend, dieser Glaube ganz nah an uns, in unserem Alltag.
Und Theolog*innen kennen keinen Alltag, oder wie?
Keine Theologin: Nein, natürlich soll das nicht heissen, dass alle anderen keine Ahnung vom Alltagsleben haben. Auch die gebildetsten Professor*innen wurden nackt geboren und brauchten viel Zuwendung, um überhaupt überleben zu können. Sie atmen, sie scheissen, sie hoffen – wie wir alle. Ausserdem bin ich ja nur Fachperson im Bezug auf meinen eigenen Alltag, also meine eigene Lebensrealität. Die sieht ja wieder bei allen anders aus… Aber zurück zu den Theolog*innen: Da gibt es ja auch viele, die nicht mehr an Universitäten sind: im Bildungsbereich, in der Seelsorge, und natürlich in Pfarrämtern, um nur einige Beispiele zu nennen.
Genau, Theolog*innen sitzen ja nicht einfach in irgendwelchen Kirchen- oder Elfenbeintürmen und drehen Däumchen…
Keine Theologin: Es geht mir nicht darum, irgendwie zu vergleichen und zu bewerten. Theolog*innen leisten oftmals wichtige Arbeit. Ich bin keine Theologin im klassischen, akademischen Sinne, das sagt ja auch mein Name. Und gleichzeitig beschäftige ich mich intensiv mit theologischen Themen. Und das steckt ja eben auch im Namen – denn nach dem keine kommt THEOLOGIN!
Puh – das muss ich alles erst einmal sacken lassen. Aber ich verstehe auf jeden Fall schon besser, was hinter keiner Theologin steckt. Danke, dass du deine Gedanken mit uns teilst! Ich glaube, wir beenden das Gespräch hier – wer weiss, vielleicht gibt es ja irgendwann Teil drei. Wie geht es Keiner Theologin jetzt?
Keine Theologin: Es hat Spass gemacht, und du bist eine gute Zuhörerin. Die Unsicherheit ist auch wieder mit dabei: Ich möchte weder abwertend noch arrogant über andere Menschen sprechen. Aber ich vertraue darauf, dass die respektvolle Haltung, die ich Menschen gegenüber habe oder zumindest versuche zu haben, immer wieder sichtbar ist. Und ich bin gespannt, wie ich in ein paar Wochen, Monaten, Jahren auf dieses Gespräch schauen werde.
Das sind wir auch – wer weiss, vielleicht tauschen wir uns dann einfach noch einmal dazu aus… Für jetzt aber erst einmal: Vielen Dank für das Gespräch!
I am impressed!